US-Präsident Donald Trump vergleicht am 3. Januar den Bau der geplanten Grenzmauer zu Mexiko mit der Fantasy-Serie „Game of Thrones“ und provoziert damit gekonnt seine politischen Gegner.
Provokation ist ein gut eingeübtes Stilmittel von Trump. Er verwendet sie als Ausdruck der Stärke: „Seht her, ich kann das! Ich erhebe mich über die geltenden Normen.“ Aber auch als Aufmerksamkeitsmagnet: Er hatte damit bereits im Präsidentschaftswahlkampf 2016 das Aufmerksamkeitsrennen in der öffentlichen Debatte gewonnen.
Provokation als Strategie
Bei Trump mag es sich um eine narzistische Persönlichkeitsstörung handeln, die gut mit der Aufmerksamkeitsökonomie der modernen öffentlichen Debatte zusammenspielt.
Bei vielen Rechtspopulisten weltweit ist sie erklärte Strategie. So bezeichnete der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki im DLF Provokation als „Stilmittel“ der AfD. Und damit hat er recht: der AfD-Ideologe Götz Kubitschek kürte gezielte Provokation sogar als zentrale Säule der Strategie der AfD seit dem Bundestagswahlkampf 2017: die Partei solle „ganz bewusst und ganz gezielt immer wieder politisch inkorrekt sein [und] auch vor sorgfältig geplanten Provokationen nicht zurückschrecken.“
Kubitschek meint, dass „harte und provokante Slogans wichtiger als lange, um Differenzierung bemühte Sätze“ seien. Ziel sei es, Aufmerksamkeit zu erzeugen und in den Medien zu bleiben. Aber Provokation solle auch gezielt moralisierendes Verhalten der anderen Debattenteilnehmenden hervorrufen, das dann als Zielscheibe genutzt werden kann, um wiederum Empörung bei den eigenen Wählern zu erzeugen und sich in der Opferrolle zu inszenieren.
Gewollte, ungewollte und missglückte Provokation
Natürlich ist Provokation nicht immer Strategie. Manche Handlungen oder Äußerungen provozieren andere Menschen, ohne dass das Ziel der Handlung oder Äußerung ist. Mini-Röcke wurden lange als Provokation aufgefasst (und werden es mancherorts noch), aber das heißt nicht, dass jede Frau, die einen Mini-Rock trägt, provozieren will.
Manchmal versuchen Menschen auch zu provozieren, aber scheitern dann damit. Andrea Nahles‘ Spruch „Jetzt gibt es auf die Fresse“ war wohl als Provokation gedacht, erntete aber vor allem Spott und war aus PR-Sicht desaströs. In der öffentlichen Debatte soll Provokation in erster Linie Aufmerksamkeit einfangen: Die Werbung bedient sich dieses Mittels genauso wie Stars, Politiker und die Medien selbst.
Provokation als Aufmerksamkeitsmagnet
Aufmerksamkeit ist ein zentrales Kapital in der öffentlichen Debatte. So können Stars die Aufmerksamkeit, die ihnen zuteil wird, an Unternehmen, für die sie Werbung machen, verkaufen. Mit Aufmerksamkeit wird gehandelt – zuvorderst im Internet. Fernsehen und Facebook haben gemeinsam, dass ihre Kunden Werbetreibende sind, denen die Aufmerksamkeit der Nutzer verkauft wird
Provokation kann natürlich auch genutzt werden, um auf etwas Wichtiges aufmerksam zu machen. Gute Kunst funkioniert so. Das Musikvideo „Like a prayer“ von 1989 stellt sich Madona selbst zufolge „gegen Rassismus. Es ist wohl immer noch ein Tabu, eine Beziehung zwischen Schwarz und Weiß zu zeigen! Und dann noch fröhliche Ausgelassenheit in einer Kirche. Ja, das waren viele Tabus. Das hat einigen Leuten Angst gemacht. Wahrscheinlich genau den Leuten, die ein Problem mit genau diesen Themen haben!“ Ob das nun der eigentliche Grund für die Provokation war, ist offen. Immerhin war das Video ein großer finanzieller Erfolg für Madonna: Denn die dadruch erzeugte Aufmerksamkeit hat ihr auch viele Millionen Dollar eingebracht.
Was ist Provokation?
Doch was ist Provokation überhaupt? So klar ist das leider gar nicht. Eine bekannte Definition lautet:
Provokation ist ein „absichtlich herbeigeführter überraschender Normbruch, der den anderen in einen offenen Konflikt hineinziehen und zu einer Reaktion veranlassen soll, die ihn, zumal in den Augen Dritter moralisch diskreditiert und entlarvt.“
(Rainer Paris 1998, 58)
Etwas allgemeiner könnte man auch sagen: Provokation ist das Hervorrufen eines (unbedachten) Verhaltens durch Normbruch und mittels einer emotionalen Reaktion bei anderen Personen (meist Ärger, Wut oder Empörung). Wichtig ist in jedem Fall zwischen den tatsächlichen Intentionen des Provokateurs (Beispiel: Provokationsversuch von Andrea Nahles), den unterstellten Intentionen des Provokateurs durch den Provozierten (Beispiel: Tabuisierung des Minirocks) und der tatsächlichen Reaktion des Provozierten (Beispiel: Gefühl der Provokation durch Minirock).
Allein die Tatsache, dass eine Frau einen Minirock trägt, wird bisweilen als Provokation aufgefasst – ganz unabhängig von den tatsächlichen Intentionen der Frau, die im Zweifel gar nicht auf die Person gerichtet sind, die sich dann provoziert fühlt.
Manche provozieren aber auch, weil sie Andere klein machen wollen. Klaus Kinski mag bei seinen Pöbeleien ein solcher Kandidat gewesen sein. Aber eben auch Donald Trump scheint durch Provokation seine Macht ausloten zu wollen. Gezielte Verstöße von Normen demostrieren, dass man über den normalen Regeln der Gesellschaft steht.
Aus demselbem Grund haben Punks in den 1980ern in Abgrenzung zur damaligen Norm Nazi-Symbole als provokative Stilmittel und Tabubrecher genutzt, um den Empörten des Bürgertums genau jene Reaktionen der Intoleranz zu entlocken, die sie bei ihnen hinter der Fassade der Toleranz vermuteten.
Warum und mit welchem Ziel wird provoziert?
Mit welchen Zielen wird Provokation im öffentlichen Diskurs (oder aber auch in privaten Auseinandersetzungen) eingesetzt? Aufmerksamkeit ist fast immer der primäre Grund; allerdings kann man verschiedenste fernere Ziele durch die erzeugte Aufmerksamkeit verfolgen.
Klassisch ist etwa die Provokation in Spiel- oder Kampfsituationen: man provoziert den Gegner zu einem Zug, der ihm mittel- oder langfristig schaden wird (beim Boxen, indem man ihn beleidigt); ein anderes Beispiel ist die Provokation von Menschen, an denen sich der Provokateur abreagieren will; erst provoziert er sie zu einer Handlung, die er selbst als Provokation auslegen kann, um dann beispielsweise eine Schlägerei vom Zaun brechen zu können.
Ganz generell sollte man also zwischen beabsichtigter, strategischer Provokation wie im Fall der AfD (oder auch häufig in der Werbung), beabsichtigter, aber nicht strategischer Provokation wie im Fall von Raufbolden und unbeabsichtigter, oft sogar unbewusster Provokation wie im Fall von Musliminnen, die in Deutschland Kopftuch tragen (was gar nicht im engeren Sinn eine Provokation ist; die Leute fühlen sich nur provoziert).
Zusammenfassend kann man sagen, dass Menschen provozieren,
- um sich selbst groß zu machen, indem sie andere klein machen.
- um von eigenen Schwächen abzulenken.
- um anderen zu zeigen, dass sie die Stärksten und Überlegensten sind.
- weil sie eifersüchtig sind.
- weil ihnen langweilig ist.
- weil sie schon aggressiv sind und ihre Aggression ausleben wollen.
- um einen Fehler der Gegenseite in einer Auseinandersetzung herbeizuführen.
- um Aufmerksamkeit von anderen zu erhalten.
Wann ist Provokation legitim?
Wenn sie ein legitimes Ziel zu erreichen hilft. Provokation ist meist Normverletzung. Das kann sinnvoll sein, wenn die Normen selbst problematisch oder unsinnig sind (zum Beispiel ganz häufig bei Normen der Sexualmoral) oder wenn diese (oder andere) Normen ohnehin nicht eingehalten werden (provokative Kunst zu Nationalsozialismus, Kapitalismus, etc.).
Für Individuen ist es bisweilen absolut sinnvoll zu provozieren, weil sie ihre kurzfristigen und individuellen Interessen durch eine gezielte Provokation durchsetzen können. Für die Gesellschaft als Ganzes ist es meist eher fragwürdig, ob Provokation zielführend ist. Schließlich sind Provokationen meist Normverletzungen, die ihrerseits Normverletzungen hervorrufen sollen. Das spricht erstmal gegen ein kooperatives, nach gemeinsamen Normen organisiertes Miteinander.
Im Einzelfall (wenn bereits Normen nicht eingehalten werden) kann eine gezielte Provokation jedoch hilfreich sein, um auf ein Problem aufmerksam zu machen. So kann Provokation sinnvoll als didaktisches Mittel im Schuluntericht eingesetzt werden. Unterschwellige Konflikte oder Probleme können, wenn man kommunikativ geschickt ist, durch eine gezielte Provokation offengelegt werden; damit das jedoch insgesamt sinnvoll ist, muss die Provokation in ein weiteres Gespräch eingebettet sein, das den Konflikt konstruktiv verhandelt!