In politischen Debatten geht es oft um Sieg oder Niederlage. Dabei könnten wir durch Diskussionen mit Andersdenkenden vor allem eines werden: schlauer.
Wenn wir von politischen Diskussionen reden, klingt das oft nach Kampf. Wir reden vom TV-„Duell“, ein Politiker muss eine „Niederlage“ einstecken oder er trägt einen „Sieg“ davon. Auch Medien inszenieren politische Diskussionen oft so, als würden sich unversöhnliche Ideologien auf einem Schlachtfeld bekämpfen. Doch ist das ein gutes Bild? Warum diskutieren wir überhaupt mit Andersdenkenden? Und warum sollten wir mit ihnen diskutieren?
Die meisten Menschen wollen in einer Diskussion vor allem eines: recht behalten. Glaubt man Psychologen, ist das ist auch nicht verwunderlich. Informationen, die nicht in unser Überzeugungssystem passen, empfinden wir als Störfaktoren. Wissenschaftler sprechen in solchen Fällen von „kognitiver Dissonanz“. Wenn wir die verspüren, haben wir vor allem einen Impuls: die Argumente des Gegenübers zu entkräften.
Das ist nicht so irrational, wie es klingt. In einer Demokratie entscheiden schließlich alle Bürger darüber, was geschieht. Je mehr Menschen wir von unserer Meinung überzeugen, desto wahrscheinlicher werden politische Entscheidungen, die uns gefallen. Doch wie überzeugt man überhaupt jemanden von seiner Meinung?
Viele Menschen kritisieren das politische Gegenüber direkt oder konfrontieren es sofort mit der eigenen Meinung. Aus psychologischer Sicht ist das keine gute Strategie. Studien zeigen, dass Menschen nur sehr selten ihre Standpunkte ändern, wenn Sie mit Gegenargumenten bombardiert werden – selbst wenn die Argumente gut sind. Im schlechteren Fall verhärtet sich das Überzeugungssystem des Gegenübers. Backfire effect heißt dieses Phänomen in der Psychologie.
Wir können verstehen lernen
Eines der berühmtesten Experimente hierzu stammt aus den USA. Die Forscher gaben ihren Versuchsteilnehmern hierfür einen erfundenen Zeitungsartikel zu lesen. Darin stand die These, der Irak besäße Massenvernichtungswaffen. Anschließend bekamen die Probanden starke Belege dafür, dass diese Information falsch ist – darunter ein Zitat des damaligen Präsidenten George W. Bush, in dem dieser die Existenz der Waffen verneint. Das Ergebnis der Studie war erstaunlich. Nicht nur glaubten vor allem konservative Versuchsteilnehmer weiter an die irakischen Massenvernichtungswaffen. Sie waren von ihrer Position sogar noch stärker überzeugt als vorher.
Zwar ist noch nicht belegt, dass Menschen im Angesicht konträrer Informationen tatsächlich im Sinne des backfire effect ihre Überzeugungen verhärten. Mit Sicherheit wissen wir jedoch, dass es gar nicht so einfach ist, eine andere Person von ihrem Standpunkt abzubringen. Für viele Menschen scheint es eine große Überwindung zu sein, die eigene Meinung zu ändern. Bisweilen scheint durch eine Meinungsänderung nicht nur ein politischer Standpunkt, sondern auch das eigene Selbstwertgefühl ins Wanken zu geraten. Wer überzeugen will, sollte also vermeiden, dem Anderen das Gefühl zu geben, als Person abgewertet zu werden.
Der Philosoph Daniel Dennett hat in Anlehnung an den Psychologen Anatol Rapaport vier Regeln aufgestellt, die dabei helfen können. Glaubt man Dennett, beginnt eine gute Kritik immer damit, dass der Diskutant zuerst in eigenen Worten wiederholt, was das Gegenüber gesagt hat. Dann stellt er heraus, worin sich beide einig sind, und macht drittens explizit, was er vom Gegenüber gelernt hat. Erst dann – im letzten Schritt – legt der Diskutant möglichst präzise dar, warum er anderer Meinung ist. Wer seine Kritik derart höflich und konstruktiv formuliert, erhöht laut Dennett seine Chancen, gehört zu werden. Womöglich kann er sogar leichter das Gegenüber vom eigenen Standpunkt zu überzeugen.
Es gibt aber noch ein anderes Ziel, das man sich in einer Debatte setzen kann: zu verstehen, wie der andere denkt. In westlichen Gesellschaften scheint das momentan ein Problem zu sein. Über die Anderen denken wir zunehmend nur noch in Stereotypen: Wer bei Pegida mitläuft, ist ein Rassist, wer Flüchtlingen hilft, hat den Bezug zur Realität verloren. Dieses Denken führt dazu, dass sich die Menschen in ihren politischen Meinungen zunehmend radikalisieren.
Das Problem ist bloß: Die allerwenigsten Menschen entsprechen in Wahrheit diesen Stereotypen. Oft sind unsere Vorstellungen vom Anderen einfach falsch. Diskussionen können dieses Denken aufbrechen.
Ein Mittel, um Diskussionen besser zu machen: offene Fragen
Das geht allerdings nicht so einfach, wie es klingt. Und es gelingt nicht immer. Gespräche können auch – ganz im Gegenteil – dazu führen, dass Stereotype verstärkt werden. Unsere Meinungen verfestigen sich dann, Unverständnis und Intoleranz wachsen.
Wie kann man ein Gespräch also angehen, wenn man es richtig machen will? Ein einfaches Mittel sind offene Fragen. Sie eignen sich besonders gut, um etwas über unseren Gesprächspartner herauszufinden. Jede Frage, die sich nicht nur mit Ja oder Nein beantworten lässt, gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, in seine Gedankenwelt Einblick zu geben. Gute Fragen in einer Debatte sind also: „Warum denken Sie das?“ Oder: „Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit diesem Problem umgehen?“
Offene Fragen sind übrigens auch eine wirksame Strategie, um Schwächen in der Position des Gegenübers aufzudecken. Studien zeigen, dass Menschen massiv ihr Verständnis komplexer Zusammenhänge überschätzen. In einer Diskussion kann es daher ratsam sein, zu fragen: „Wie erklärt sich das Ihrer Meinung nach?“ Oder: „Wie hängt das in Ihren Augen zusammen?“ Geschicktes Fragen kann dem Gegenüber klarmachen, dass sein Verständnis des Themas begrenzt ist.
Wie wirkungsvoll offene Fragen sein können, hat der afroamerikanische Musiker Daryl Davis gezeigt. Davis, eigentlich ein Pianist und Bluesmusiker, führt seit Jahren Gespräche mit Mitgliedern des rechtsextremen Ku-Klux-Klans. Doch statt sie zu kritisieren, stellte er ihnen offene Fragen. Eine Frage lautete sinngemäß: „Warum glaubst du, dass Schwarze gewalttätiger sind als Weiße?“ Obwohl Davis selbst immer wieder von Rassismus betroffen war, interessierte er sich aufrichtig für die Frage, wie die Mitglieder zu ihrem rassistischen Weltbild kamen. Die Methode hatte offenbar Erfolg: Nach den Gesprächen lösten sich Teile des Ku-Klux-Klans im Bundesstaat Maryland auf.
Es gibt aber noch einen dritten Grund, mit politisch Andersdenkenden zu diskutieren: der eigene Erkenntnisgewinn. Eine Diskussion, das vergessen wir oft, ist ein extrem gutes Mittel, um die eigenen Überzeugungen zu überprüfen und der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Das ist auch deshalb entscheidend, weil wir Menschen zu Denkfehlern neigen.
Ein besonders häufiger Denkfehler ist der sogenannte Bestätigungsfehler oder confirmation bias. Die bekannteste Studie hierzu stammt aus Großbritannien. Der Denkpsychologe Peter Wason bat seine Studierenden, die Regel hinter einer von ihm ausgedachten Zahlenreihe herauszufinden. Die Reihe lautete: 2,4,6. Fast alle Studierenden waren anschließend der Ansicht, dass die Regel darin bestünde, dass einfach jedes Mal eine zwei addiert werde.
Die Studierenden durften anschließend weitere Zahlenreihen nennen, um zu prüfen, ob sie mit ihrer Hypothese richtig lagen. Die meisten Studierenden prüften ihre Hypothese, indem sie weitere Zahlenreihen bildeten, die der Regel „Addiere 2!“ folgten. Also: 8,10,12 oder 6,8,10.
Damit jedoch gingen sie dem Bestätigungsfehler auf den Leim. Sie hatten nicht mehr nach der Wahrheit, sondern ausschließlich eine Bestätigung für ihre Hypothese gesucht. Für die Studie wäre es jedoch klug gewesen, auch Zahlenreihen der Form „1,2,3“ oder „7,2,1“ abzufragen. Hätten die Studierenden das getan, hätte sich schnell die Regel herausgestellt, die der ursprünglichen Zahlenreihe zugrunde lag. Sie lautete nämlich schlicht: „Addiere irgendeine Zahl!“
Streitgespräche müssen kein Kampf sein
Studien zeigen immer wieder, dass wir viel besser darin sind, die Denkfehler anderer zu erkennen als unsere eigenen. Unter bestimmten Voraussetzungen ist der Austausch von Argumenten also sehr viel effizienter und effektiver als das individuelle Abwägen von Gründen. Daher sind Diskussionen so nützlich für den Erkenntnisgewinn.
Wie sollte man also in ein Streitgespräch hineingehen, wenn man möglichst schlau wieder herauskommen will? Es geht im Wesentlichen darum, die richtige Haltung zu finden. Die Kampfmetaphorik, mit der wir Streitgespräche beschreiben, suggeriert, dass wir eine Debatte gewinnen müssen oder zumindest unsere Position erfolgreich verteidigen. Wenn wir das nicht schaffen, fühlen wir uns schlecht. Das Gegenüber wird damit zum Gegner in einem Duell, der uns gefährlich werden kann und den wir besiegen müssen.
Diese Haltung hat jedoch in erster Linie negative Konsequenzen. Adrenalin wird ausgeschüttet, weil wir uns bedroht fühlen. Das führt dazu, dass wir zwar schneller und rhetorisch geschickter reagieren können. Wir sind aber auch weniger aufnahmefähig, weniger empathisch und weniger zugewandt.
Streitgespräche müssen jedoch keine Kämpfe sein, die in Siegen oder Niederlagen enden. Wir können sie als kooperative Unterfangen verstehen, bei denen wir voneinander lernen. Dann kann eine Niederlage auch einmal ein Sieg sein. Zum Beispiel dann, wenn man eine nicht haltbare Überzeugung angesichts guter Gründe aufgibt. So zu denken, ist sicherlich viel verlangt. Aber vielleicht ist es einen Versuch wert.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf ZEIT ONLINE am 21. September 2018 anlässlich der Aktion „Deutschland spricht“ #D18.