Warum man mit „Coronaleugnern“ reden und sie nicht so nennen sollte

Im Zuge der Coronapandemie versammeln sich immer wieder Menschen zu Protesten, weil sie mit der Coronapolitik der Bundesregierung nicht einverstanden sind. Im öffentlichen Diskurs ist jüngst angesichts dieser Zusammenkünfte der Ruf laut geworden, man solle den Teilnehmenden dieser Veranstaltungen am besten weder zuhören noch ihre Standpunkte diskutieren

Dieser Ruf nach Ausgrenzung vom öffentlichen Diskurs ist symptomatisch für eine allgemeine Tendenz, sich der argumentativen Auseinandersetzung mit missliebigen Standpunkten zu entziehen. Wir sind als Gesellschaft gut beraten, dieser Tendenz entgegenzuwirken.

In einer demokratischen Gesellschaft sollte das Ziel sein, die Auflösung einer breiten Mitte der Gesellschaft zu verhindern. Ein Ausschluss vom öffentlichen Diskurs wirkt diesem Ziel entgegen. Wir sollten daher alles daran setzen, die Standpunkte möglichst großer Teile der Bevölkerung im öffentlichen Diskurs zu verhandeln. 

Dieser Position steht die Bemerkung, dass einige Standpunkte schlichtweg indiskutabel seien, nur scheinbar entgegen. Angesichts der gegenwärtigen Gefahr einer Zersplitterung des Diskurses haben die Multiplikator:innen im öffentlichen Diskurs einen klaren Auftrag: Aufgabe ist es, jeden Standpunkt, auch jeden unmöglichen, auf seine diskutablen Anteile abzuklopfen und diese diskutablen Punkte dann auch tatsächlich zu diskutieren. 

Die Diskurstugend, auf die es dabei hauptsächlich ankommt, ist die des Wohlwollens. Die Leitfrage eines gelungenen Diskurses muss sein: Gibt es an dem Standpunkt, den ich ablehne, einen guten oder wichtigen Gedanken, der Eingang in die Diskussion finden sollte?

Insbesondere sollten wir drei miteinander in Verbindung stehende Tendenzen des Vermengens von Verschiedenem entgegenwirken. 

Erstens sollten wir aufhören, breite Spektren ganz unterschiedlicher Positionen unter jeweils einem abwertenden Label zusammenzufassen. Unter dem Label „Impfgegner“ zum Beispiel firmieren die unterschiedlichsten Standpunkte; von der wissenschaftlich unhaltbaren Behauptung, Impfungen verursachten Autismus, über Vorbehalte gegen einen in Lichtgeschwindigkeit entwickelten Impfstoff gegen das Coronavirus, bis hin zu der Position, der Staat überschreite mit einer Sanktionierung der Impfverweigerung seine Befugnisse. In ähnlicher Weise unscharf sind negative Labels wie „Verschwörungstheoretiker“, „Rassistin“ oder „Coronaleugner“.

Zweitens sollten wir es vermeiden, einzelne Positionen stets als Bestandteil eines Meinungsclusters zu verhandeln. Im Cluster von Meinungen, die wir als „Coronaleugnung“ zusammenfassen, gibt es eine Vielzahl von Einzelthesen, die nicht breit diskutiert werden müssen. Andere Thesen – etwa zur Abwägung von Freiheit und Sicherheit, zu den Befugnissen des Staates oder zu den Sicherheitsauflagen für einen neuen Impfstoff – aber wahrscheinlich schon. Diese Thesen gilt es zu extrahieren und in den Diskurs aufzunehmen. 

Drittens sollten gilt es, Personen nicht mit ihren Standpunkten zu identifizieren. Es muss möglich sein, einen Standpunkt abzulehnen ohne die Person abzulehnen, die diesen Standpunkt vertritt. 

Die Beherzigung dieser drei Tugenden des Separierens würde uns einem angstfreien Austausch entgegengesetzter Positionen und einem breit aufgestellten öffentlichen Diskurs einen guten Schritt näher bringen. 

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Romy Jaster
Romy Jaster ist Gründerin und Leiterin des Forums Streitkultur sowie Dozentin am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. Sie beschäftigt sich mit Willensfreiheit, Fähigkeiten, Fake News und konstruktivem Diskurs.